Sinnlos schützen oder sinnvoll nützen?
von Markus Schaaf
Auf der Homepage der Kantonalen Denkmalpflege wird der Auftrag dieses Amtes mit folgenden Worten umschrieben: «Das Ziel der Denkmalpflege ist die Überlieferung des architektonischen Erbes an künftige Generationen. Dies erfordert ein sorgsames Abwägen zwischen den Interessen der Liegenschaftsbesitzer und -nutzer und dem öffentlichen Auftrag, die Baudenkmäler integral zu erhalten.»
Aufgrund der Berichte und Erfahrungen entsteht bei mir je länger je mehr der Eindruck, dass die Güterabwägung zwischen den Interessen von Denkmalpflege und Heimatschutz auf der einen Seite und den Bedürfnissen von Liegenschaftsbesitzern und -nutzern längst nicht mehr ausgewogen stattfindet.
Einige Beispiele: In Winterthur wurde 1973 das Primarschulhaus Wallrüti von den Architekten Irion und Egli gebaut. Das Besondere an diesem Bau war die Aussenhaut aus Corten-Stahl. Stahl galt zu jener Zeit als günstiger und moderner Baustoff. Durch die Witterung sollte sich auf der Oberfläche eine dauerhafte Korrosionsschicht bilden. Später zeigte sich, dass dies ein Trugschluss war. Die Fassade rostete ungebremst weiter und erhielt schliesslich den unschönen Spottnamen „Rosthaufen.“ Als der Winterthurer Stadtrat nach detaillierten Abklärungen feststellte, dass nicht nur der Stahl marode geworden war, sondern das Gebäude mit krebserregendem Asbest und Polychlorierte Biphenyle (PCB) verbaut war, beschloss er den Rückbau des Gebäudes. Doch welche Überraschung: Die kantonale Denkmalpflege liess das Schulhaus begutachten und befand es als schutzwürdig. Mit diesem Entscheid wurde der rasche Rück- und Neubau vorläufig blockiert.
In Rikon verhindert die Denkmalpflege, dass beim Schulhaus die Aussenfassade energetisch saniert werden kann. Nun muss – und ein Vielfaches teurer – die Innenwand isoliert werden.
Am Zürichsee musste in einem Schulhauskeller eine Wand saniert werden. Als sich herausstellte, dass unter dem Verputz Bruchsteine verwendet worden waren, verlangte die Denkmalpflege, dass auch bei der Sanierung wieder das gleiche Material verwendet wird, obwohl am Schluss die ganze Mauer (im Keller!) mit einem neuen Verputz überdeckt worden ist. Solange dieser Verputz hält, wird also nie mehr jemand die Steine darunter sehen. Es gäbe noch viele weitere Bespiele von rostenden Eisenbrücken oder leerstehende Gebäuden, die ungenutzt verfallen, weil die Denkmalpflege die Liegenschaft als schützenswert erachtet. Die Behörde stützt sich bei ihren Entscheiden meist auf Gutachten vom Verein Zürcher Heimatschutz ab. Dieser Verein sorgte jüngst mit seinen Einsprachen zum geplanten Umbau vom Universitätsspital Zürich (USZ) dafür, dass sich der milliardenschwere Erweiterungsbau weiter verzögert und verteuert.
Ich finde es gut und wichtig, dass wir über Begriffe wie Heimat nachdenken und formulieren, wie sich unser Verständnis von „Heimat“ in Bezug auf Raum, Zeit, Gesellschaft und Kultur auswirkt. Es geht dabei um Originalität und Identität, um Respekt und Würdigung im Umgang mit der Geschichte. Aber Denkmal- und Heimatschutz machen einen grossen Denkfehler. Mit dem flächendeckenden Schutz von allen aussergewöhnlichen Bauten verhindern sie, dass Raum für neue, zeitgemässe Bauten geschaffen wird. Damals, beim Erbau dieser Bauwerke war es ganz klar, diese Bauten sollen genutzt werden, es waren Zweckbauten. Wenn nun ein Bauwerk seinem Zweck nicht mehr dient, muss seine Berechtigung überprüft werden. Im Jahre 1834 hatte der Grosse Rat von Zürich den Mut und die Weitsicht, die Stadtmauer rund um Zürich abreissen zu lassen. Dadurch konnte die Stadt wachsen und sich weiterentwickeln. Man mag sich gar nicht vorstellen, was aus Zürich geworden wäre, wenn damals Heimatschutz und Denkmalpflege die gleichen Einflussmöglichkeiten gehabt hätten, wie heute.
Die Volksentscheide zu den Kulturland- und Landschaftsinitiativen haben deutlich gezeigt, dass die Stimmbürger keine weitere Ausdehnung von bebautem Gebiet mehr wünschen. Der Raum zum Bebauen und Gestalten ist eine Ressource, die uns nur in begrenztem Masse zur Verfügung steht. Ich wünsche mir diesen Mut und die Weitsicht der Zürcher von 1834, dass wir uns von alten, vertrauten Bauten lösen können und Platz schaffen für neue Bauwerke.
Das Wort „Denk-mal“ lädt ja geradezu ein, darüber nachzudenken, welche Objekte geschützt werden sollen und welche nicht. Es braucht in der Denkmalpflege eine Gesamtschau über den ganzen Kanton. So können einzelne, originelle Bauzeugen als schutzwürdig identifiziert werden – und die Besitzer werden dafür entsprechend entschädigt. Aber dann braucht es auch den Mut, andere Bauten mit ähnlichem oder gleichem Charakter aus dem Schutzinventar zu entlassen. Es ist schlicht unsinnig, jede Fabrik, jede Kapelle und jede Eisenbrücke im Tösstal unter Schutz zu stellen. Ich bin überzeugt, mit Mut, Weitsicht und einer gehörigen Portion gesundem Menschenverstand muss es doch möglich sein, dass es in unserem Kanton wieder zu einem ausgewogenen Verhältnis von schützen und nützen kommen kann.